Long-Covid-Betroffene sind «immer noch wütend»

DRUCK AUF KANTON LUZERN STEIGT – Es passiere zu wenig: Das sagt ein Luzerner, dessen Frau an Long Covid erkrankt ist. Der Bund schiebt die Verantwortung an die Kantone ab – das hat nun einen Kantonsrat auf den Plan gerufen.

Text: zentralplus.ch, Isabelle Dahinden

«Alles ist ein Auf und Ab»: Das sagte Manuel Weingartner, dessen Frau an Long Covid erkrankt ist. Auch kleinste Tätigkeiten wie Zähneputzen oder ein kurzer Spaziergang können zu einem «Crash» führen. Und das Umfeld leidet ebenfalls mit, denn eine solche Krankheit kann den Alltag auf den Kopf stellen. Viele fühlen sich zudem von der Politik alleingelassen (zentralplus berichtete). Weingartner und seine Frau sind nicht allein. Der Verein Long Covid Schweiz schätzt, dass in der Schweiz über 300’000 Menschen an Long Covid leiden. 

Nun wird der Luzerner FDP-Kantonsrat Gaudenz Zemp aktiv. Er hat diese Woche eine Anfrage eingereicht. In dieser schreibt er, dass generell wenig über das Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronic Fatigue Syndrome genannt (ME/CFS), bekannt sei. Betroffene leiden unter einer «extrem beeinträchtigten Leistungsfähigkeit», die von schwerer körperlicher wie geistiger Fatigue begleitet wird und mindestens sechs Monate andauert.

«Es wird nicht viel dazu geforscht, und genaue Zahlen über Betroffene fehlen», so Zemp. Zudem hätten Betroffene oft «eine lange Odyssee» hinter sich, bis die Diagnose endlich gestellt werde.

In seiner Anfrage stellt er dem Regierungsrat eine Reihe an Fragen. Unter anderem will er wissen, wie Gesellschaft, Fachpersonen im Gesundheitswesen, Sozialversicherungen und Arbeitgeber für das Krankheitsbild sensibilisiert würden. Auch möchte er wissen, ob es Pläne für eine Aufklärung gebe und wie das IV-Verfahren für Betroffene verbessert werden könne.

Bund schiebt Verantwortung an Kantone ab

Politisch aktiv wird Zemp, weil die Tochter eines befreundeten Elternpaars betroffen sei. Und er habe zur Kenntnis genommen, dass der Bund die Zuständigkeit bei den Kantonen sehe, wie Zemp auf Anfrage schreibt.

Das ist in der Tat so. Zwei Bundesparlamentarier aus Luzern wurden ebenfalls bereits aktiv – und gebremst. Sowohl FDP-Ständerat Damian Müller als auch SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo wollten die Situation von Betroffenen verbessern.

In den Antworten auf die Vorstösse verweist der Bundesrat jeweils auf «die zuständigen Fachorganisationen». Müller sagte im Mai gegenüber der «Luzerner Zeitung», dass der Bund die Verantwortung auf nicht existente Fachorganisationen oder auf die Kantone, die für die Gesundheitsversorgung zuständig seien, abschiebe. «Das ist eine Verschieberei ohne Lösungsweg», hielt Müller fest. «Das muss offensichtlich national koordiniert werden.»

Zemp sorgt sich insbesondere um junge Menschen

FDP-Kantonsrat Zemp bereiten im Umgang mit Betroffenen gleich mehrere Dinge Sorgen. «Intuitiv reagiert man offensichtlich falsch auf die Symptome dieser Krankheit. Man neigt dazu, gerade jungen Betroffenen zu raten, an die frische Luft zu gehen und sich körperlich zu betätigen. Dies aber scheint gerade kontraproduktiv zu sein.»

«Das Krankheitsbild ist in einer Leistungsgesellschaft rasch mit einer Stigmatisierung verbunden.»

Gaudenz Zemp, FDP-Kantonsrat

Auch bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben könnten grobe Fehler passieren. «Zudem ist das Krankheitsbild in einer Leistungsgesellschaft rasch mit einer Stigmatisierung verbunden. Da es auch sehr junge Menschen betrifft, laufen diese Gefahr, durch falschen Umgang mit der Krankheit ein Leben lang durch alle gesellschaftlichen Netze zu fallen.»

Auch betont er, dass es so scheine, dass betroffene Eltern und Patienten sich nicht ernst genommen fühlen würden. «Sie erachten das Gesundheitssystem in diesem Bereich als unzulänglich und unfair. Ich versuche nun, auf kantonaler Ebene eine Klärung der vielen offenen Fragen zu erreichen.»

Sensibilisierung fehlt

Gemäss Manuel Weingartner passiert derzeit noch viel zu wenig. Er ist dankbar für jeden, der das Thema aufgreift. Er sagt aber auch: «Ich bin immer noch wütend. Als (indirekt) Betroffener geht es zu lange, es ist zu träge, und es gibt definitiv noch Luft nach oben.»

Derzeit würden zwar einige, wenige Studien in der Schweiz laufen. Erfolg versprechend sei jedoch noch keine wirklich. «Die Sensibilisierung in der Politik ist nicht wirklich da», so Weingartner. «Bei keiner Politikerin und bei keinem Politiker im Wahlkampf 2023 waren chronische Krankheiten, Forschung etc. ein Wahlkampfthema.»

Long-Covid-Sprechstunde: 450 Menschen nutzten sie

Nicht nur die Politik, auch IV-Stellen und Spitäler sind gefordert. Das Luzerner Kantonsspital (Luks) bietet seit 2021 Sprechstunden für Long-Covid-Betroffene an (zentralplus berichtete). Gemäss Luks-Mediensprecher Linus Estermann haben seither rund 450 das Angebot genutzt. Zeitweise musste das Luks auch einen Aufnahmestopp aussprechen. So weit ist es nun nicht mehr gekommen. «Begrenzt können wir neue Patientinnen und Patienten aufnehmen», so Estermann. «Die Wartezeiten betragen mehrere Wochen.»

«Aus meiner Sicht müsste dies ganz klar auf Bundesebene gelöst und beantwortet werden.»

Manuel Weingartner

Bei der WAS IV Luzern gab es seit 2021 insgesamt 109 Anmeldungen von Personen mit direkten gesundheitlichen Langzeitfolgen nach einer Coronaerkrankung.

Weiterer Vorstoss ist in Luzern hängig

In Luzern ist seit Längerem ein weiterer Vorstoss zu «sofortigen Massnahmen zur besseren Gesundheitsversorgung von Long-Covid-Betroffenen» hängig. Diesen hat SP-Kantonsrätin Simone Brunnerim März 2023 eingereicht.

«Je mehr solche Anfragen und Postulate in der Regierung landen, desto eher ist die Chance, dass es vorwärtsgeht», so Weingartner dazu. Es bleibe wohl nichts anderes übrig, als das Thema in den einzelnen Kantonen anzustossen. «Aus meiner Sicht müsste dies ganz klar auf Bundesebene gelöst und beantwortet werden. Aber da dies nicht gemacht werden will, sind solche Anträge an die Kantonsregierungen der einzig richtige Weg», so Weingartner.

Zemp will erst mal Antworten. Dann will er abwägen, «ob und welchen politischen Handlungsbedarf es gibt».

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