Die heutige Situation
Mit Einzug des Internets kam das Jahrzehnte lang ignorierte Fass langsam zum Überlaufen. Betroffene und Interessierte tauschten sich untereinander aus, knüpften Kontakte und bildeten Organisationen. Es gab ziemlich eindeutig etwas, was das bisherige Gesundheitswesen nicht nur unzureichend, sondern nahezu überhaupt nicht abdeckte.
Das Blatt begann sich aber aber erfreulicherweise zu wenden. Mit heutigen Werkzeugen können die Betroffene bereits gut identifiziert und zumindest im Alltag unterstützt werden (Lebensführung, Symptomkontrolle, Energie-Management, Sozialleistungen).
Schon die offizielle Aufstellung der Diagnose ME/CFS wird von den meisten Betroffenen zu den grössten Durchbrüchen des Lebens gezählt. Das richtige Verständnis der Erkrankung schützt sie dann auch vor Scharlatanerie, Unterstellung der Verrücktheit sowie lenkt den diagnostisch-therapeutischen Aufwand. Nicht zuletzt lassen sich dadurch zahlreiche Kosten sparen.
Mit Geduld, Vernetzungen und Schulungen lässt sich bereits heute der Boden für zukünftige Entwicklung vorbereiten - Patientenregister, Kompetenzzentren, grössere Trials und schliesslich standardisierte und auch wirksame Diagnostik und Therapie.
#MillionsMissing
So sprechen die heutigen Advokaten online, in Büchern, Artikeln und Filmen öfters über «voices from the shadows» [1], «millions missing» [2], «canaries in the coal mine» [3] oder «forgotten plague» [4]. Das Fazit dieser Arbeiten ist erdrückend - die Situation der Betroffenen und deren Bezugspersonen ist tragisch. Es handelt sich weltweit um Abermillionen verlorener Lebensjahre voller unspezifischer und invalidisierender Symptome. Arbeitsstellen werden verloren und Ausbildungen nicht abgeschlossen, Freundschaften, Beziehungen und Familien zerfallen, die sogar simpelsten Pläne bleiben auf der Strecke. Die ME/CFS Betroffenen erleben echte Odysseen an aufwändigen, teuren Abklärungen und Therapien (inklusive diverser psychodynamischen Ansätze, Komplementärmedizin und unwissenschaftliche Massnahmen) und trotzdem findet man bei ihnen lange «nichts» – auch bei den Bettlägerigen, welche bereits jahrelang und unwillentlich vor sich hinvegetierten.
So leiden die Betroffenen nicht nur unter einer invalidisierenden Erkrankung, sie müssen sich noch zusätzlich ständig rechtfertigen und auseinandersetzen mit Stereotypen, Untersagungen, Überpsychologisierung, unangemessener Relativierung ihrer Beschwerden und Scharlatanerie. Nirgends fühlen sie sich verstanden oder wirklich gut aufgehoben. Häufig kommt es zu erzwungenen Rekonditionierungsmassnahmen und Einweisungen in die Psychiatrie, was aber ebenfalls versagt und Empörung hervorruft. Am Ende mündet die Gesamtsituation meistens in eine fundierte und tiefverwurzelte Skepsis mit Hoffnungs- und Vertrauenslosigkeit an die Menschheit und an das System. So bring sich schliesslich bis jeder 4te Betroffene um [5], und auch dieser Schrei nach Hilfe bleibt meistens stumm. Auf Foren und Treffen der meisten Patientenorganisationen für ME/CFS dominiert somit eindeutig die dunklere Note.
QUELLEN:
[1] “Voices from the Shadows”Directed by Jason Biggs
Documetary from 2011
[2] www.millionsmissing.meaction.net
[3] “Canaries In The Coal Mine: A Journey of Discovery”Elain Marie Graham
Babloa Press, Published 2012
[4] “Forgotten Plague”Directed by Ryan Prior
Ducmentary from 2015
[5] “ME/CFS/PVSF: An Exploration of the Key Clinical Issues”Charles Shepherd MD
The ME Association UK
Wissenschaftliche Durchbrüche
Gleichzeitig sind die ersehnten Durchbrüche so nah wie noch nie zuvor. Diverse Konzepte werden laufend validiert. Hier geben meistens die USA, England, Kanada und Australien den Takt an, aber auch weitere Länder ziehen langsam nach (z.B. Deutschland, Skandinavien, Benelux und Japan). Einige plausible Theorien zu Ursachen von ME/CFS gibt es bereits und auch heilende Verfahren sind schon in Sichtweite – sie reichen von einzelnen Erfolgsberichten bis hin zu erfolgreichen, klinischen Versuche der Phase II und III für diverse Subgruppen des ME/CFS. [6] [7] Mit zunehmender Vernetzung werden einige Konzepte auch schliesslich validiert und umgesetzt.
Es ist zwar noch zu früh für eine unifizierende Theorie und effiziente, klinische Handhabung, das Problem ME/CFS kann aber bereits gut erkannt, anerkannt und graduell angepackt werden. Der allgemeinen Abneigung / Indifferenz / Machtlosigkeit der Öffentlichkeit und der Profis aus dem Bereich der Gesundheitswesen und unterschiedlichen Dienstleistungen kann mithilfe der aktuellen Informationen entgegengewirkt werden.
QUELLEN:
[6] «A Systematic Review of Drug Therapies for Chronic Fatigue Syndrome / Malgic Encephalomylelitis»Ansel Collatz BA, MPH et al.
Clinical Therapeutics, Volumer I, Number I, 2016. Elsevier HS Journal Inc. Published Apr 26 2016
[7] «Chronic Fatigue Syndrome: A Treatment guide, 2nd Edition, Kindle Edition» Erica Verillo