«Einige gehen in die Reha und enden im Rollstuhl»
Was, wenn sich der Körper plötzlich nicht mehr erholt und dauerhaft schwach ist? Genau dieses Problem haben ME/CFS-Erkrankte. Hinter dem kryptischen Namen steckt eine noch unheilbare Krankheit, die alle treffen kann.
Es ist eben nicht nur eine Erschöpfung. ME/CFS ist zusammengefasst eine Krankheit, bei dem der Körper so stark geschwächt ist, dass der normale Alltag nicht mehr zu bewältigen ist. Der Körper kann sich kaum oder gar nicht von Belastungen erholen. Je nach Schweregrad führt sie zu schwerer Behinderung, sodass Erkrankte pflegebedürftig werden. Die Today-Redaktion hat mit Jonas Sagelsdorff gesprochen, dem Co-Präsidenten der Schweizerischen Gesellschaft für ME & CFS (SGME), über die bislang unheilbare Krankheit.
Was bedeutet ME/CFS?
Die genaue Ursache von ME/CFS ist nicht ausreichend erforscht. Sicher ist, dass die Krankheit das Immunsystem betrifft und mit Entzündungen des Nervensystems zusammenhängt. Hinter dem Namen stecken zwei weitere komplizierte Begriffe, die jeweils auch als eigenständige Krankheit auftreten können.
Symptome verschlimmern sich
Das Hauptsymptom:, Der Zustand der Betroffenen verschlechtert sich schon nach kleinster geistiger oder körperlicher Anstrengung.
Dieses Problem ist unter dem Namen Post-Exertional-Malaise (PEM) bekannt. Der Körper kann nicht genügend Energie transportieren oder gar bereitstellen. Erkrankte müssen sich deswegen teilweise Tage, Wochen oder Monate von einer Belastung erholen. Je schwerer die Anstrengung ist, desto stärker verschlimmern sich die Symptome und die entsprechende Erholungsphase. «Eine Verschlechterung kann auch für immer bleiben», warnt Sagelsdorff.
Long-Covid ist nicht das Gleiche
Die Symptome erinnern stark an jene von Long-Covid. Zwar sei es möglich, nach einer Coronavirus-Infektion an ME/CFS zu erkranken, aber es sei eben nicht das Gleiche. Eine Long-Covid Erkrankung kann nach bis zu 18 Monaten enden. Doch mindestens zehn Prozent der Long-Covid Betroffenen leiden an ME/CFS. Sie bleiben schwer chronisch krank, erklärt Sagelsdorff.
Nicht nur Symptome sind ein Problem
Etwa 60 Prozent der Betroffenen seien arbeitsunfähig und 25 Prozent sogar bettlägerig und pflegebedürftig. Doch von allen Gesuchen um Invalidenrente werden drei Viertel abgelehnt, erklärt Sagelsdorff. «Armut spielt darum sehr oft eine grosse Rolle bei schweren Erkrankungen», fügt er an. Doch nebst dem Finanziellen sei auch der «Ärztemarathon» ein Problem. Im Durchschnitt müssen Erkrankte zu mindestens zehn verschiedenen Ärztinnen und Ärzten, bis sie eine Diagnose erhalten, erklärt er.
Fehldiagnose und falsche Therapieformen
Häufig werde zuerst eine falsche Diagnose gestellt und die Leiden als psychische Probleme eingestuft. Dadurch werde häufig eine völlig falsche Behandlungsform angewendet. «Ärzte verordnen Aktivierungstherapien, was den Zustand noch verschlechtert. Viele Betroffene gehen sogar in die Reha und enden schlussendlich wegen falscher Behandlung im Rollstuhl», so Sagelsdorff weiter.
Der Ursprung vieler Probleme
«ME/CFS muss im Gesundheitssektor unbedingt bekannter werden», sagt Jonas Sagelsdorff auf die Frage, was sich schnellstmöglich ändern sollte. Es sei der Ursprung vieler Probleme. «Das Ganze IV-Problem, der Ärztemarathon oder auch das Verständnis der Gesellschaft würde sich verbessern», so Sagesdorff.
Protestaktion auf dem Bundesplatz
Auf genau diese Probleme will die SGME aufmerksam machen. «Wir führen am Freitag eine kleine Kundgebung auf dem Bundesplatz durch», sagt Sagelsdorff. Dort wollen die Gesellschaft und Betroffene mit und Politikerinnen Politikern ins Gespräch kommen.