Erst die Krankheit, dann die Armut
Text: Andres Eberhard
Der Artikel wurde uns freundlicherweise vom «Surprise Strassenmagazin» zur Verfügung gestellt.
Teil 1 von 3
Corona Rund 160 000 Menschen sind hierzulande drei Monate nach einer Covid-Infektion noch immer krank. Was passiert sozial mit ihnen, wenn sie ihr altes Leben nicht mehr meistern können?
Manche werden nach einer Virus-Infektion nie mehr gesund. Weil sie das nicht beweisen können, kriegen sie von der IV kein Geld. Droht dieses Schicksal nun auch bei Long Covid?
Wie vom Lastwagen überfahren, sagen sie. Wie ein Motor, der aufs Drücken des Gaspedals nicht reagiert. Wie Batterien, die sich schnell entladen und unglaublich langsam wieder aufladen.
Was Betroffene von Long Covid erzählen, kommt Petra Tobler bekannt vor. Die 45-Jährige ist chronisch erschöpft. Ob Spazieren, Lesen oder Zähneputzen: Selbst nach kleinsten Anstrengungen ist ihr Akku leer. Überanstrengt sie sich, büsst sie später dafür. Auslöser war das Epstein-Barr-Virus gewesen, der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Sie infizierte sich vor sechs Jahren – und erholte sich davon nie wieder.
Viren mit Langzeitfolgen gibt es nicht erst seit Corona: Anfang des 20. Jahrhunderts kursierte die «europäische Schlafkrankheit», möglicherweise ausgelöst von der Spanischen Grippe. Auch andere SARS- oder MERS-Erreger, das von Zecken übertragene FSME, Influenza oder eben Epstein-Barr können Langzeitschäden verursachen, oft in Form einer chronischen Erschöpfung.
Heute verbringt Petra Tobler 22 bis 23 Stunden pro Tag liegend im Bett oder auf dem Sofa und ihr Mann pflegt sie fast durchgehend. Seit Jahren hat sie kein Buch mehr gelesen, keinen Ausflug mehr gemacht, war sie nicht mehr auswärts essen. Die Energie, die ihr bleibt, nutze sie für das Nötigste, für Essen und Trinken, Toilettengänge, etwas Fernsehen und Aussenkontakt per E-Mail, schreibt sie mir in einer Nachricht. An guten Tagen gehe sie auch mal eine Viertelstunde in den Garten, an sehr guten Tagen reiche es für einen Spaziergang. Daraufhin vereinbaren wir ein kurzes Telefonat – doch nach diesem ersten Kontakt meldet sie sich während Wochen nicht mehr.
Was es mit der durch Viren ausgelösten chronischen Erschöpfung auf sich hat, ist nicht vollständig erforscht. Bei Tobler lautete die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis (ME) – eine chronische Krankheit, die sehr schwer verlaufen und auch Nerven-, Hormon- und Immunsystem sowie Organe schädigen kann (siehe Kasten). Das Problem: Die Ursache der Krankheit ist bis heute nicht erforscht. Und damit gibt es auch keinen «Beweis» etwa in Form eines biologischen Markers. Das hat zur Folge, dass ME seit Jahren selbst unter vielen Ärzt*innen nicht ernst genommen und als psychisches Problem abgetan wird.
Zwischen ME und Long Covid gibt es auffällige Parallelen. Erste Studien zeigen, dass etwa die Hälfte aller Long-Covid-Patient*innen die Diagnose-Kriterien für ME erfüllen. Für die einen bedeutet diese Ähnlichkeit eine Chance, für die anderen ist sie eine Gefahr. Entweder wird ME aufgrund der grossen Aufmerksamkeit für Long Covid den «Psycho-Stempel» endlich los. Oder aber Long Covid landet in derselben Schublade.
Das Telefon klingelt. Am Apparat ist Petra Tobler, die Frau, die ich seit Wochen versuche zu erreichen. Für eine gute Stunde reiche die Energie, sagt sie am Telefon mit schwerem Atem, die müsse sie ausnützen. «Ich hatte einen schlimmen Crash», entschuldigt sie sich für die Funkstille. In solchen Momenten ertrage sie keine Geräusche, kein Tageslicht, keine Temperaturänderungen. Sie liege dann einfach nur regungslos im Bett und könne weder sprechen noch laufen. Nur warten, bis die Schmerzen nachlassen und die Energie zurückkommt.
Ein aktives, schönes Leben habe sie gehabt, früher. Als Verkäuferin im Luxussegment mochte sie es, sich in Businesskleidung zu werfen, richtete dafür zuhause gleich zwei Ankleideräume und ein Schuhzimmer ein. Einen grossen Teil ihrer freien Zeit verbrachte sie in der Natur, mit dem Hund in den Wald, ein Wochenende ins Tessin, Reisen, Ausflüge, Gartenarbeit. Dann, eines Morgens, sei sie mit Fieber aufgewacht und habe wochenlang praktisch durchgeschlafen. «Plötzlich war ich komplett weg vom Fenster.» Kochen, Putzen, Waschen, um all das musste sich nun ihr Mann kümmern. «Dafür bin ich ihm natürlich sehr dankbar. Aber Sie können sich vorstellen, dass diese Situation im Alltag zu Reibereien führt.» Selber aufs WC oder sich anziehen kann sie nicht mehr, unter die Dusche schafft sie es noch alle ein bis zwei Wochen, ansonsten müsse der Waschblätz reichen. «Ich fühle mich wie ein unmündiges Kind.»
Ich habe Petra Tobler angerufen, weil ich von ihr wissen wollte, warum sie seit vier Jahren um Unterstützung der Invalidenversicherung IV kämpft. Wie die Sozialversicherung mit ME/CFS-Betroffenen umgeht (CFS ist das verwandte Chronic Fatigue Syndrome, siehe Kasten), könnte ein Hinweis darauf sein, was Long-Covid-Betroffene erwartet. Schliesslich geht es dabei auch um die Frage, was sozial mit den Menschen passiert, die durch ein Virus von ihrem alten Leben Abschied nehmen müssen.
Was ist ME?
Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist eine chronische neuroimmunologische Krankheit mit weltweit schätzungsweise 17 bis 24 Millionen Betroffenen, in der Schweiz sind es zwischen 16 000 und 22 000. Diese leiden unter einer verminderten Energiereserve und können sich auch im Schlaf nicht richtig erholen. Typisch für die Krankheit ist, dass sich die Symptome bei Überanstrengung verzögert verschlimmern, wobei es sich dabei um ganz alltägliche Aktivitäten handeln kann.
ME ist derzeit nicht heilbar. Die einzige Therapie ist ein Einteilen der Kräfte und eine Behandlung der Symptome. Diese beinhalten Schmerzen am ganzen Körper und die Folgen eines gestörten Nerven-, Hormon- und Immunsystems.
Die Ursache von ME ist nicht geklärt. Die Krankheit könne aber anhand von Symptomlisten diagnostiziert werden, die in internationalen Richtlinien festgehalten seien, sagt Arzt Protazy Reimer, einer der wenigen ME-Spezialisten in der Schweiz. Es handle sich nicht wie immer wieder vermutet um eine Ausschlussdiagnose. Ausserdem sei erwiesen, dass es sich bei ME primär nicht um ein psychisches Leiden handle.
ME ist seit 1969 von der WHO anerkannt. Ende der 1980er-Jahre wurde die Diagnose um das Chronic Fatigue Syndrom (CFS) ergänzt. Viele Betroffene erachten dies als Verwässerung der Diagnose, da Fatigue auch Symptom anderer, insbesondere psychiatrischer Erkrankungen ist. Werden ME-Patient*innen für psychisch krank gehalten, kann dies für sie verheerende Folgen haben. Während beispielsweise bei einer Depression Bewegung und physische Anstrengung wirken, sind diese bei ME kontraproduktiv: Aktivierungstherapien führen dazu, dass sich ihr Erschöpfungszustand verschlimmert. EBA
Tobler meldete sich vor vier Jahren bei der IV an. Daraufhin nahm sie an Wiedereingliederungsmassnahmen teil und musste mehrmals nach Bern reisen, um sich von Gutachter*innen medizinisch untersuchen zu lassen. Diese Termine seien für sie äusserst belastend und ausserdem entwürdigend gewesen, erzählt sie. «Da ich sagte, dass ich nicht alleine auf die Toilette könne, zogen sie mir den Arm nach hinten, was etwa bis zur Hüfte gelang. Im Gutachten schrieben sie dann, für das Abwischen des Hinterns würde das ja reichen, also sei ich sehr beweglich und nicht pflegebedürftig.»
Long Covid wird kaum zu vielen IV-Renten führen
Tobler hatte mit Unterstützung eines Anwalts darum gebeten, dass zumindest ein auf ME spezialisierter Arzt anwesend ist. Vergebens. Als sie das Gutachten in den Händen hält, traut sie ihren Augen nicht. Statt von ME sprechen die Ärzt*innen von einer psychisch bedingten Stresskrankheit, empfehlen Medikamente und einen Reha-Aufenthalt. Tobler sei «in angepasster Tätigkeit» zu 70 Prozent erwerbsfähig, das heisst in einer Arbeit mit genügend Ruhezeiten. Das würde just nicht für eine Teilrente reichen, die es ab 40 Prozent Erwerbsunfähigkeit gibt. Der abschliessende Entscheid der IV steht noch aus.
Für Tobler, die zahlreiche Arztberichte sowie ein Gegengutachten einreichte, die bewiesen, dass sie physisch und nicht psychisch krank ist, der reine Hohn. Ihr Arzt Protazy Rejmer von der Seegarten Klinik in Kilchberg, einer der wenigen hiesigen ME/CFS-Spezialisten, sagt: «Das Gutachten war zwar über 100 Seiten lang, inhaltlich aber lausig. Es transportierte per Copy-Paste veraltete Sichtweisen und zitierte erst noch falsch.» Er selber attestiert Tobler eine mittelgradige bis schwere Form der ME/CFS. «Arbeiten kann sie aus meiner Sicht nicht mehr.» Das Problem bei der Invalidenversicherung: Betroffene müssen in aller Regel ihre Krankheit beweisen können, ansonsten erhalten sie keine Unterstützung. Genau der Beweis gelingt ME-Betroffenen und ihren Ärzt*innen nicht. Eine von der Schweizerischen Gesellschaft für ME initiierte Umfrage unter ihren Mitgliedern ergab, dass die IV nur bei jeder vierten Anmeldung wegen ME eine Rente zusprach, der Rest wurde abgewiesen.
Für jene, die an Long Covid leiden und die Rückkehr ins Arbeitsleben nicht schaffen, ist das keine gute Nachricht. Die IV werde sich bei Long Covid nicht anders verhalten als sonst, heisst gleich restriktiv wie immer, sagt auch Thomas Gächter, Professor für Staats-, Verwaltungsund Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich. «Das wird nun einfach einer grösseren Öffentlichkeit bewusst. » Seine Prognose für all jene, die wegen Langzeitschäden von Covid-19 anklopfen, ist düster: «Ein guter Teil wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit selber berappen müssen.»
Und doch gibt es Grund zur Annahme, dass Long Covid nicht in derselben Schublade landen wird wie ME. Vielleicht hat die grosse Aufmerksamkeit zur Folge, dass objektiv noch nicht nachweisbare Krankheiten entstigmatisiert werden. «Die Hoffnung steigt etwas», sagt Luzius Hafen. Er ist Anwalt spezialisiert auf Haftpflicht- und Versicherungsrecht. «Ich stelle fest, dass Beschwerdebilder wie ME ernster genommen werden als vor der Pandemie. » Dies habe einerseits damit zu tun, dass endlich viel breiter und intensiver geforscht werde. Andererseits handle es sich bei Long-Covid-Betroffenen um Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, teilweise sogar um Prominente, die «voll leistungsfähig waren und dann aus ihrem Leben rausgerissen wurden». Auch Protazy Rejmer stellt fest: «Der Mainstream der Medizin hat sich nie mit ME befassen wollen, aber das ändert sich langsam zum Besseren. » So seien in Zürich und Graubünden ME-Sprechstunden eingerichtet worden – zuvor war seine die schweizweit einzige gewesen.
Bei ME-Betroffenen wie Tobler sei die Sache juristisch aber nach wie vor schwierig, weil sie bei der IV als «eingebildete Kranke» gelten würden, sagt Anwalt Hafen. «Die Menschen kurieren erst ihre Grippe aus und gehen erst spät in Behandlung, wenn sich ihr Zustand nicht verbessert », so Hafen. Deshalb sei es zwar naheliegend, aber eben nicht endgültig erwiesen, dass das Epstein-Barr-Virus tatsächlich der Auslöser für Toblers heutige Symptome ist. Besser nachweisbar dürften aufgrund der vielen Tests Ansteckungen mit Covid-19 sein. Dennoch erwartet auch Hafen wegen der aktuell sehr restriktiven IV-Praxis «nicht massenhaft Renten».
«Grauenvolle Psychologisierung der Situation»
Die Hoffnung ruht denn auch nicht unbedingt auf der Sozialversicherung, die ihre harte Praxis mittlerweile seit fast 20 Jahren entgegen aller Kritik durchsetzt. Sondern auf der Medizin. Die Aufmerksamkeit für Long Covid sorgt für politischen und gesellschaftlichen Druck, und der wiederum setzt Forschungsgelder frei, um das lange Zeit marginalisierte Problem der Langzeitschäden von Viren besser zu erforschen.
20 000 Menschen in der Schweiz leiden an der Krankheit ME, 17 Millionen sind es weltweit. (Schätzung)
160 000 Menschen in der Schweiz leiden 12 Wochen nach der Infektion mit Covid-19 an Symptomen.
45 % der Long Covid-Patient*innen erfüllen die Diagnose-Kriterien für ME.
77 % der Anträge von ME-Betroffenen auf eine IV-Rente werden abgelehnt.
Dies könnte Betroffenen tatsächlich viel bringen. Gelingt es ihnen zu beweisen, dass ihre Krankheit somatisch bedingt ist, stehen auch die Chancen auf eine IV-Rente besser. Genau diesen Weg streben die Long Covid-Verbände an. «Wir hoffen auf diagnostische Tests, wie sie beispielsweise in Deutschland bereits in Gebrauch sind», sagt Chantal Britt vom Verein Long Covid Schweiz. Britt spricht von einer «herablassenden, grauenvollen Psychologisierung der Situation». Man sage den Leuten, sie sollten sich anstrengen, sich richtig bewegen, an die frische Luft gehen, und es werde wieder gut. «Aber es wird eben nicht gut, im Gegenteil.»
Was mit den Menschen passiert, die sich wegen Long Covid bei der Sozialversicherung anmelden, darauf haben IV-Gutachter*innen einen grossen Einfluss. Diese arbeiten derzeit an Empfehlungen, wie mit dem Phänomen umzugehen sei. «Damit sich eine Praxis entwickelt, die weder alle gesundschreibt noch alle invalidisiert», so Yvonne Bollag vom Basler Begutachtungsinstitut asim, mitverantwortlich für die Empfehlungen. Bollag appelliert insbesondere an Hausärzt*innen, Covid-Infizierte von allem Anfang an genau zu dokumentieren und den eigens für diese Zwecke erstellten sogenannten EPOCA-Bogen zu verwenden. Denn: «Wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Symptome durch ein Virus bedingt sind, dann werden sie im IV-Verfahren anders beurteilt.»
Ob sich die IV-Gutachter*innen an die Empfehlungen halten werden, ist allerdings nicht sicher, da diese nicht verbindlich sind. Der Luzerner Anwalt Christian Haag vom Verband Covid Langzeitfolgen ist skeptisch. «Viele der 30 Gutachter-Institute arbeiten mit sogenannten Fluggutachter* innen aus dem Ausland, die sich jeweils nur 90 Tage in der Schweiz aufhalten.» Er fordert, dass sich eine einzige spezialisierte Gutachterstelle mit medizinisch sehr komplexen Beschwerdebildern wie Long Covid beschäftigt.
Petra Tobler wartet auch nach vier Jahren noch immer auf einen Entscheid der IV. Angeblich soll dieser kurz bevorstehen, doch das wurde ihr schon oft gesagt. Der Kampf um die Rente kostet sie praktisch die gesamte Energie. «Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass Menschen, die Hilfe brauchen beim Anziehen oder auf die Toilette gehen, die unterste Stufe erreicht haben und auf eine IV-Rente angewiesen sind?», fragt sie mehr rhetorisch.
Eines ist klar: Wer nicht kämpft, geht leer aus. Aber nicht alle haben die Energie dafür. Vielen sage man bereits am Telefon, dass es schwierig werden würde, sagt Chantal Britt von Long Covid Schweiz. Wer es sich leisten kann, meldet sich gar nicht erst an und hebt sich die Kräfte auf, um gesund zu werden. Denn dafür ist ein jahrelanges Gerichtsverfahren, ja ein Kampf um die Existenz Gift. «Diese Menschen sind krank und stehen unter Druck vom Arbeitgeber, zurückzukommen. Sie hören von Ärzt*innen, dass sie eigentlich gesund seien. Sie zweifeln an sich selbst, fragen sich: Was habe ich nur? Warum schaffe ich das nicht? Dazu kommt der Druck von Versicherungen zu beweisen, dass sie wirklich krank sind. Dabei schaffen es viele nicht einmal, ein Formular auszufüllen», sagt Britt.
Tobler sagt, es komme ihr vor, als sei das Ziel dieses endlosen Verfahrens, dass sie endlich aufgebe. «Für mich fühlt sich das an wie Erpressung.» Sie hofft, dass dieser Artikel etwas bringt. Nicht, weil sie Einfluss auf für ihr eigenes IV-Verfahren nehmen möchte – eher drohe sie sich selbst zu schaden, weswegen sie darum bat, ihre Geschichte unter einem Pseudonym publik zu machen. Doch sie hofft, dass ihr Fall in anderen etwas auslöst, dass diese von der Ungerechtigkeit erfahren, die sie und andere Betroffene erleben. Sie hofft, dass man ihr glaubt. «Ich bin einer jener schwerkranken Menschen, die von einem Tag auf den anderen einfach verschwinden.»
Menschen wie Tobler verschwinden aber nicht nur von der Bildfläche und aus dem sozialen Leben. All jenen, die kein finanzielles Polster haben oder dieses aufgebraucht haben, droht auch Armut, wenn sie von der IV nicht unterstützt werden. Die Krankheit setzt eine Abwärtsspirale in Gang, die in Armut endet. Just um das zu verhindern, wurden die Sozialversicherungen geschaffen. «Die IV ist eine Versicherung, die doch recht häufig nicht versichert», sagt Rechtsprofessor Gächter. «Ich weiss mittlerweile schon gar nicht mehr, wie ich das meinen Studierenden erklären soll.» Für einmal etwas lauter sagt Tobler am Telefon: «Wer sich nicht wehrt, bekommt nichts. Und ich habe sonst nichts.» Wenn sie nur ein paar Franken auf der Seite hätte, «dann würde ich sofort mit diesem Kampf aufhören». Die 45-Jährige lebt vom Ersparten ihres Mannes, der 50 Prozent von zuhause aus arbeitet und sie daneben pflegt. Da Altersarmut vorprogrammiert sei, bleibe ihr nichts anderes übrig. Tobler hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe. «Dafür müsste ich warten, bis das Ersparte meines Mannes aufgebraucht ist. Oder mich von ihm trennen.»