ME/CFS Verein Schweiz

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Es kann auch gut laufen

Text: Andres Eberhard
Der Artikel wurde uns freundlicherweise vom «
Surprise Strassenmagazin» zur Verfügung gestellt.

Teil 3 von 3

Eingliederung ist das oberste Ziel der IV. Das kann auch bei Long Covid funktionieren – mit viel Zeit und Geduld.

Die meisten Long-Covid-Betroffenen hoffen noch auf eine Rückkehr ins Arbeitsleben. Viele beziehen Krankentaggelder, die nach maximal knapp zwei Jahren auslaufen. Klappt die Wiedereingliederung bis dahin nicht, wird die Frage nach einer längerfristigen Existenzsicherung akut. 1776 Anmeldungen mit oder wegen Covid-19 erfasste die Invalidenversicherung im Jahr 2021. In rund 80 Prozent der abgeschlossenen Fälle sprach sie eine Eingliederungsleistung, nur die allerwenigsten Antragssteller* innen erhielten bislang eine Rente.

Was es braucht, damit Wiedereingliederung gelingen kann, zeigt der Fall der Genferin Corinne Baudet, die im Oktober 2020 an Covid-19 erkrankte. Die 44-jährige Mutter war vor der Pandemie während 18 Jahren Klassenlehrerin, in der Freizeit fuhr sie gerne Ski, spielte Tennis und Theater. Nach der Covid-19-Infektion verlor sie alle Kraft. «Ich konnte über längere Zeit hinweg nicht einmal mehr meinen Sohn in die 200 Meter entfernte Schule begleiten», sagt sie.

Nach einem halben Jahr machte sie im Rahmen einer therapeutischen Wiedereingliederung die ersten Arbeitsversuche. Zunächst nur zwei Schulstunden pro Woche, immer montags und donnerstags. Sie amtete aber nicht als Klassenlehrerin wie zuvor, sondern als zusätzliche, unterstützende Lehrkraft. «Für mich war das sehr wichtig. Denn wenn es an einem Tag nicht ging, war das nicht so schlimm. Aber wenn ich da war, konnte ich stets helfen. Es gibt ja immer genug zu tun.»

Selbst das kleine Pensum, inklusive zehnminütiger Autofahrt zur Schule, sei anfangs hart gewesen. Aber es habe ihr gutgetan, auch psychisch. «Ich muss mich niemandem gegenüber erklären, denn ich arbeite ja. Auch die Schüler*innen wissen zwar nicht, dass ich krank bin, aber es ist für sie normal, dass ich nicht immer da bin. Und wenn ich arbeite, vergesse ich Covid für einmal komplett.» Sie erachtet darum die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit, wenn auch nur in minimalem Pensum, als notwendig für den Heilungsprozess.

«Nicht zu schnell zu viel wollen»

Seither baute Baudet ihr Pensum sachte aus. Zunächst erhöhte sie auf drei Schulstunden pro Woche, nach einem Jahr auf deren acht. «Das ist doch etwas. Ich kann zurückblicken und sehe die positive Entwicklung, auch wenn es immer mal wieder zu Rückschlägen kommt», sagt sie.

Aus ihrer Erfahrung das Wichtigste: «Nicht zu schnell zu viel wollen. Man kann nichts erzwingen. Sonst bezahlst du später dafür.» Das gelte nicht nur bei der Arbeit, sondern auch für die Freizeit. Sie erzählt, wie sie es einmal mit Skifahren probiert habe. «Wenn ich am Vormittag schlafe, kann ich nachmittags drei, vier Abfahrten machen. Am nächsten Tag muss ich mich dann aber ausruhen. Das heisst: Total braucht es zwei Tage für einige Schwünge.»

Damit der Wiedereinstieg funktionieren kann, brauche es ein unterstützendes und wohlwollendes Umfeld, sagt Baudet. Mit dem Kanton als Arbeitgeber und der IV, die ihren Weg unterstützt, habe sie das. Sie glaubt aber auch, dass sich das gute Beispiel auf andere weniger privilegierte Berufe übertragen lasse – dann nämlich, wenn Menschen während der Wiedereingliederungsphase lediglich zur Unterstützung aufgeboten werden. «Auch ein Garagist ist froh, wenn einer mehr kommt. Dieser spielt anderen Mitarbeitenden Zeit frei. Und Reparaturen sind schneller erledigt.» Wichtig sei, dass den Betroffenen realistische Ziele gesteckt werden, dass sie nicht zu früh zu stark unter Druck geraten und sich für die Integration Zeit lassen können.

Bis Oktober bezieht Baudet noch immer ihren vollen Lohn. Ab dann erhält sie mindestens für ein Jahr lang IV-Taggelder, sofern sie ihre Ziele erreicht. So ist es mit der kantonalen IV-Stelle und ihrem Arbeitgeber vereinbart. «Wie weit ich bis dahin bin und ob ich zumindest eine Teilrente brauchen werde, ist noch schwer vorauszusehen», sagt sie.